Psychotherapie

Verhaltenstherapie

Der Begriff Verhaltenstherapie kennzeichnet eine große und heterogene Gruppe von Ansätzen. Das wesentliche Gemeinsame der verhaltenstherapeutischen Ansätze ist ein lerntheoretisches Verständnis für die Genese und die Therapie von psychischen "Störungen".

 

Historische Entwicklung

1. Die Entdeckung des "bedingten Reflexes"

Durch den in Petersburg arbeitenden Physiologen Iwan PAWLOW (1849 - 1936) in den 90-er Jahren des 19. Jahrhunderts welcher die Physiologie des Verdauungsapparates in Tierexperimenten (an Hunden) untersuchte, wurde der bedingte Reflex entdeckt: Stellte man einem Hund Futter hin, kam es zum Speichelfluss bei dem Hund. Ließ man zeitgleich eine Glocke ertönen, so löste nach einer gewissen Zeit allein der Klang der Glocke den Speichelfluss aus (Konditionierung).


2. Psychoreflexologie

Ebenfalls in Petersburg lebte der Psychiater Wladimir BECHTEREW (1857 - 1927). Er hörte 1905 von den Konditionierungsexperimenten und kreierte die "Psychoreflexologie", in dem er Konditinierungsexperimente auch mit Menschen machte und schon früh begann, verhaltenstherapeutische Behandlungen an Neurotikern und Psychotikern durchzuführen.

Daraus entwickelte sich weitere Grundlagenforschung (in Tierexperimenten) in der amerikanischen Experimentalpsychologie:


3. Gesetz des Effekts (1911):

Edward L. THORNDIKE (1874 - 1949): Bei dem Vergleich der Intelligenz verschiedener Tierarten wurde festgestellt, daß von den Tieren zufällig entdecktes Verhalten bei Erfolg immer wieder angewandt (fixiert) wird.


4. John B. WATSON : Behaviorismus

Der Behaviorismus war der Versuch, eine Psychologie nach den (damals so verstandenen) Prinzipien der Naturwissenschaften zu entwerfen.

Es entstand eine starke Grundlagenorientierung der Amerikanischen Psychologen, z.T. auch als Abgrenzung gegen den Einfluß der Psychoanalyse im Bereich der Psychiatrie (FREUD, JUNG und FERENCZI waren 1909 für einige Jahre nach Amerika gekommen, was den Einfluß der Psychoanalyse dort noch vergrößerte).

Der Behaviorismus ist eigentlich eine wissenschaftstheoretische und forschungsmethodologische Position und keine inhaltliche Theorie, bildete aber die Grundlage der lerntheoretischen Ansätze in der Psychotherapie. Die Schwerpunkte lagen erstens auf Reiz- Reaktions-Beziehungen über deren Verstärker sowie zweitens dem Versuch, das gesamte menschliche Verhalten als auf diese Weise erlernt zu betrachten.


5. Lerntheorien (in den dreißiger Jahren):

Clark L. HULL (1884 -1952): Wesentlich für seine Verstärkungstheorie war, dass das Lernen eines Verhaltens vom Erreichen eines lustbetonten Zustandes durch einen Verstärker abhängig ist, daher also auch triebabhängig ist.

Burrhus F. SKINNER (*1904) führte das operante (= instrumentelle) Konditionieren ein: Während beim klassischen Konditionieren (wie bei dem Hund s.o.) ein vorgegebener Stimulus (Glockenton) das Reaktionsverhalten (Speichelfluss) auslöst, besteht das Wesen des operanten Konditionierens darin, daß spontan auftretende Reaktionsformen, die das Tier von sich aus hervorbringt mit den entsprechenden Nachfolgebedingungen gekoppelt werden.
6. Lerntheoretisch fundierte Ansätze der Verhaltenstherapie:

In den vierziger und fünfziger Jahren versuchten erstmals verschiedene Forscher (Joseph WOLPE und seine Gruppe in Südafrika sowie die sog. "Maudsley-Gruppe" um Hans-Jürgen EYSENCK in England) in der Tradition der klassischen Konditionierung Ängste und Neurosen mittels klasssischer Konditionierung abzubauen. SKINNER und Schülern gelang es, den Aufbau bestimmter Fertigkeiten und erwünschter Verhaltensweisen zu trainieren.

In den sechziger und siebziger Jahren entwickelten sich die kognitiv orientierten Ansätze der Verhaltenstherapie: Es sind nicht so sehr die Dinge selbst, auf die der Mensch reagiert, sondern seine spezielle Wahrnehmungen und Interpretationen, mit denen er die Dinge mit bestimmten Bedeutungen versieht und dann gefühlsmäßig darauf reagiert!

Systemische Therapie

Systemische Ansätze sind in den 70-er Jahren in der Psychotherapie hinzugekommen. Ansätze systemischen Denkens waren und sind in einigen anderen Psychotherapieansätzen ebenfalls zu finden, so z.B. der Begriff des Organismus-Umwelt-Felds von LEWIN in der Gestalttherapie.

Therapeutisch interessant wurden systemische Erklärungen in der Schizophrenieforschung, dies vorerst jedoch weniger als Behandlungsmethode, sondern vielmehr, um kausale Erklärungen für die Entstehung der Schizophrenie zu finden. So wurde die Beziehungsstruktur in der Familie als zunehmend relevant amgesehen ("Double-Bind"-Theorie, 1956). Dieser Ansatz war als theoretische Gegenkonzeption zur somatischen / medizinischen bzw. psychoanalytischen Erklärung anzusehen. Schizophrenie galt aus systemischer Sicht als Kommunikationsstörung, und zwar als die "einzig mögliche Reaktion auf einen absurden und unhaltbaren zwischenmenschlichen Kontext" (WATZLAWIK u.a. 1969).

Heute existieren verschiedene Richtungen, die insgesamt recht unterschiedliche Wurzeln haben. Gemeinsam ist ihnen allen, dass die Aufmerksamkeit auf Prozesse im engen Sozialfeld des "identifizierten" Patienten gerichtet wird und therapeutische Interventionen nur auf dieser Ebene stattfinden.

Palo-Alto-Gruppe (die Kommunikationsschule der Familientherapie) 1959 gegründet als "MRI = Mental Research Institute von Virginia SATIR, Don JACKSON, Jules RISKIN

in den 60-er Jahren kamen dazu: Paul WATZLAWICK, Jay HALEY, John WEAKLAND, John BELL, Gregory BATESON

Mailänder Schule "Systemische Therapie" aber ausdrücklich erst und nur von den Mailändern um Mara Selvini-Palazzoni als Terminus verwandt

in Deutschland:

  1. Familientherapie durch Horst-Eberhard RICHTER ab der 60-er Jahren
  2. IGST (Internationale Gesellschaft für Systemische Therapie, Heidelberg), gegründet von Helm STIERLIN, Fritz SIMON, Gunthard WEBER u.a.


Grundlegender Aspekt des systemischen Denkens ist v.a. ein "Paradigmenwechsel" im psychotherapeutischen Denken und dem Verständnid psychischer "Störungen". Zum systemsichen Denken gehören der Fokus auf Prozesse wie Zirkularität, Kommunikation , Struktur, Ökologie und Evolution.

Psychoanalyse

Die Anfänge der professionellen Psychotherapie sind gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu datieren (FREUDs erste Veröffentlichungen mit BREUER 1893 "über den psychischen Mechanismus hysterischer Phänomene" der Fall Anna O.)

Psychische Störungen wurden bis dahin überwiegend neurologisch erklärt. Es wurde postuliert, daß jede seelische Störung eine hirnorganische Ursache hat. Das Paradigma mechanistischer / somatischer Medizin und Naturwissenschaft beherrschte das Denken um die Jahrhundertwende. Abgesehen von dem Einfluß philosophischer und dichterischer Einsichten, stand auch FREUD unter dem Einfluß dieses Paradigmas.

FREUD entwickelte die Kernstücke der Psychoanalyse von 1900 -1920. Im Jahre 1900 veröffentlichte er sein erstes umfassenderes Werk "Traumdeutung", in dem er bereits das erste topische Modell darstellte, d.h. die Differenzierung des Psychischen Apparates in unbewußt (kann nur mit Hilfe der psychoanalytischen Technik ins Bewußtsein geholt werden), vorbewußt (kann jederzeit ins Bewußtsein geholt werden) und bewußt. Als therapeutische Technik führte er das freie Assozieren ein. Hinzu kamen folgende Konzepte:

  • "Widerstand" : Der Klient wehrt sich gegen das Bewußtwerden unbewußter Regungen und der Auseinandersetzung damit.
  • "Übertragung": Frühkindliche affektive Erlebnisse und Verhaltensmuster des Klienten werden auf den Therapeuten übertragen,später wird dies zum Kerninstrument psychoanalytischer Technik.
  • Entwicklung des Energiekonzepts der "Libido": Die Libido durchläuft in der Entwicklung des Menschen ganz bestimmte Phasen; unbewältigte Konflikte in diesen Phasen und eine Störung in der Ökonomie der Libido wurden als Ursachen für Neurosen angenommen.


Außerdem arbeitete FREUD ein strukturelles Persönlichkeitsmodell heraus: Der "seelische Apparat" enthält drei "Psychische Instanzen": ES -ICH - ÜBERICH. Neurosen werden zurückgeführt auf Konflikte zwischen diesen Instanzen. Diese Konflikte sind mit Angst verbunden: Angst ist die Ursache für Verdrängungen! Das ICH, das zwischen Triebwünschen aus dem ES und den (Gewissens-) Ansprüchen aus dem ÜBER-ICH vermitteln und eine Anpassung an die Realität finden muß, steht im Mittelpunkt der Angst. Diese Sichtweise wurde auch z.B. von Tochter Anna FREUD in ihrem zentralen Werk: "Das Ich und die Abwehrmechanismen" (1936) weitergeführt.

Danach richtete sich die Aufmerksamkeit zunehmend auf die Bedeutung der frühkindlichen Entwicklung. Diese Blickrichtung ist auch heute noch sehr wichtig: In den sog. "frühen Störungen" wird strukturellen Defiziten mehr Aufmerksamkeit geschenkt, was z.B. in solchen Störungen wie dem Borderline-Syndrom und einigen psychosomatische Störungen zum Ausdruck kommt (vergl. KOHUT 1979; KERNBERG 1981).

Humanistische Therapie

Die humanistische Therapien werden oft als "Dritte Richtung" oder "Dritte Kraft" in der Psychologie bezeichnet (neben der Psychoanalyse und dem Behaviorismus als dem Ursprung der Verhaltenstherapie). Hier finden sich unterschiedlichste Ansätze, die in einigen Prinzipien ihrer therapeutischer Arbeit übereinstimmen und die ein hinreichend gleichartiges Menschenbild besitzen:

  • Gestalttherapie (auch tiefenpsychologisch)
  • Klientenzentrierte Gesprächspsychotherapie
  • Psychodrama (Iacov MORENO)
  • Logotherapie ( Victor FRANKL)
  • Bioenergetik (A. LOWEN) (auch tiefenpsychologisch)
  • Transaktionsanalse ( E. BERNE) (auch tiefenpsychologisch)


1. Philosophische Wurzeln der humanistischen Psychotherapien:

Der Existenzialismus (Sören KIERKEGAARD, 1813 - 1855; Friedrich NIETZSCHE, 1844 - 1900; deutsche Vertreter: Karl JASPERS, Martin HEIDEGGER, Ludwig BINSWANGER) sucht jenseits von absoluten Werten, festen Normen, Rollen und Fassaden den "wirklichen Menschen", in seiner eigentlichen und "nackten" Existenz. Fragen nach dem Sein und dem Sinn werden in der Dimension der Zeit gesehen, d.h. dass der Mensch sich immer auf dem Weg des Selbstwerdens befindet. Es gibt keine allgemeingültigen absoluten Antworten.

Nach SARTRE ist der Mensch zur Freiheit verdammt, er selbst oder nicht er selbst zu sein oder zu werden. Durch diese Verantwortung und den Entscheidungsspielraum wird gleichzeitig aber auch Autonomie, Identität und menschliche Würde möglich.

Einen bedeutsamen Einfluß auf die Humanististische Psychologie hatte auch Martin BUBER. Der religiös verankerte BUBER betonte den Bezug des Menschen zur Welt und die Ich-Du-Beziehung als Begegnung: Eine Begegnung ohne Zweck, Gier oder Vorwegnahme!


2. Gestaltpsychologische Wurzeln der humanistischen Psychotherapien:

Im Gegensatz zur "Elementen-Psychologie", die von der Annahme ausgeht, daß psychische Phänomene aus (isoliert untersuchbaren) einzelnen Elementen zusammengesetzt sind, betont die Gestaltpsychologie, daß beim Wahrnehmen und Denken, bei Willenshandlungen und bei Bewegungsabläufen eine ganzheitliche Organisation nach übergreifenden Gestaltgesetzlichkeiten und dynamischen Gerichtetheiten stattfindet.

Besonders GOLDSTEIN zeigte, daß die Gestaltgesetze nicht nur im Wahrnehmungsbereich gelten, sondern für den gesamten Organismus Bedeutung haben. Er betonte die Einheit des Organismus (grundsätzliche Interdependenz psychischer und somatischer Prozesse) und die Fähigkeit des Organismus zur Selbstregulation.


3. Menschenbild der humanistischen Psychotherapien:

Das Menschenbild der humanistischen Psychologie beinhaltet folgende zentrale Grundgedanken:

  1. Autonomie und soziale Interdependenz: Der Mensch strebt nach Autonomie. Er entwickelt ein aktives Selbst und ist fähig, für sich Verantwortung zu übernehmen, dies immer im sozialen Kontext.
  2. Selbstverwirklichung: Psychoanalytische und behavioristische Modelle erklären zwar ausreichend die Befriedung vieler primärer Bedürfnisse. Diese Erklärungen jedoch reichen nicht aus, denn der Organismus ist auch weiterhin aktiv, lebendig und schöpferisch. Daher werden zusätzlich Selbstaktualisierungskräfte und Wachstumskräfte als Antriebskräfte des Organismus angenommen.
  3. Ziel- und Sinnorientierung: Neben den materiellen Grundlagen bestimmen auch humanistische Wertvorstellungen, wie Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde das Handeln. Handlungen sind sinn-strukturierend und ziel-orientiert.
  4. Ganzheit: Der menschliche Organismus gilt als Leib-Geist-Seele-Einheit! Dies impliziert ein besonderes Verständnis vom Zusammenwirken körperlichen und seelischer Prozesse, welches beisielsweise auch beim Verständnis psychosomatischer Beschwerden hilfreich ist.

Therapie

Häufiger als angenommen geraten Menschen in schwierige Lebenssituationen, aus denen sie oftmals allein nur schwer wieder herausfinden. Oder sie erkennen, daß sie bestimmte Schwierigkeiten haben, den Herausforderungen des Lebens zu begegnen:

Sie entwickeln Ängste, werden depressiv, leiden unter Kontaktstörungen und Einsamkeit, haben sexuelle Störungen, zweifeln an ihrem Selbstwert, leiden unter Esstörungen oder psychosomatischen Beschwerden, kommen mit ihrem Partner, ihrer Familie oder im Berufsleben nicht mehr zurecht.

In all diesen oder ähnlichen Fällen ist es für die Betroffenen sinnvoll, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Hier bekommen sie die Chance, offen über sich und die eigene Situation nachzudenken, eigene Hemmnisse zu erkennen und zu überwinden, Neues auszuprobieren und Lösungswege aus den eigenen Problemen bzw. der Lebenskrise zu entwickeln.

Formen und Entwicklung der Psychotherapie

Die in Deutschland gängigen Psychotherapieverfahren sind grundsätzlich in vier Strömungen einzuteilen:

  1. Psychoanalyse
  2. Humanistische Therapie
  3. Systemische Therapie
  4. Verhaltenstherapie

 


Da im Allgemeinen die Psychotherapeuten ihrer Eigenerfahrung und ihrem persönlichen Verständnis entsprechende Therapieverfahren ausüben, ist es entscheidend, mit welcher Therapierichtung sich der/die Therapeut/in verbunden fühlt.

Therapie ist etwas sehr Individuelles und das therapeutische Verfahren sollte dem eigenen Empfinden zugänglich sein.

Die Mehrzahl der Psychotherapeut/inn/en sind nicht nur in einem speziellen Verfahren intensiv ausgebildet, sondern sind oftmals auch in weiteren Verfahren bzw. zumindestens in deren Grundlagen fortgebildet. Daher wird in der psychotherapeutischen Praxis auch häufig eine Integration verschiedener Interventionstechniken, in das von dem jeweiligen Therapeuten favorisierte therapeutische Verfahren betrieben. Mit dieser Art des Vorgehens ist die Therapeutin / der Therapeut auch in der Lage, den Bedürfnissen seines Klientels entsprechend der vorliegenden "Störung" bzw. der vorhandenen Ressourcen angemessener und effektiver zu begegnen. Dies entspricht auch zunehmend der wissenschaftlichen Forschung über die Effektivität unterschiedlicher Therapieformen bei verschiedenen "Krankheitsbildern".